Der Frauenversteher

Auch mit 84 Jahren hat der Fotograf Douglas Kirkland noch immer den Finger am Auslöser. Ein Gespräch in Los Angeles über Schönheit, Image und Instagram.

Das Reich des Fotografen Douglas Kirkland liegt versteckt in den beschaulichen Hollywood Hills, weit weg von Trubel und Autoverkehr, denen man in Los Angeles kaum entkommt. Die Häuser, die hier stehen, verströmen die lässige Nonchalanz des Hollywood vergangener Tage und sind in ihren Proportionen weit entfernt von den protzigen neuen Villen der Stars in Calabasas oder den Anwesen von Bel Air. Alles ist üppig bewachsen, und die blühenden Hecken, die jedes der niedrigen Häuser vor Blicken schützen, sind voller Kolibris.

Douglas Kirkland und seine aus Frankreich stammende Frau Françoise empfangen ihre Besucherin herzlich wie ein Familienmitglied. Statt eines förmlichen, eng getakteten Interviews in Gegenwart von Publizisten und Agenten, wie es sonst in Hollywood üblich ist, bitten die beiden zu einem entspannten Lunch im Garten. Kirklands Assistenten Cassandra und Sam warten bereits am Tisch; die gemeinsame Mittagspause ist ein fester Bestandteil des Arbeitstages. Leben, Arbeiten, Gastfreundschaft, Familie: bei den Kirklands gehört all das untrennbar zusammen.

Bis heute hat der hochgewachsene, immer noch jungenhaft wirkende Kanadier mehr als 600 Stars für Magazine wie Life, Look und Harper’s Bazaar portraitiert und als Setfotograf mehr als 150 Hollywoodfilme begleitet. Zu den berühmtesten Namen, deren gerahmte Fotografien die Wände des Hauses füllen, zählen Marilyn Monroe, Brigitte Bardot, Audrey Hepburn, aber auch Coco Chanel, Grace Jones und Andy Warhol. Kirklands Setfotografie prägt unsere Erinnerungen an bedeutende Momente der Kinogeschichte, etwa von  “Jenseits von Afrika”, “Titanic” oder zuletzt der Neuverfilmung von “The Great Gatsby” mit Leonardo DiCaprio. Und egal, ob ein Foto im Jahr 1968 oder heute aufgenommen wurde, Douglas Kirkland gelingt es jedes Mal auf unverwechselbare Art, den Menschen hinter der Ikone zu zeigen.

Während unseres Gespräches kommt Assistent Sam, der im hauseigenen Studio gerade die zahllosen Kameras Kirklands katalogisiert, begeistert nach draußen gelaufen: “Doug, ich habe gerade deine alte Halbformatkamera gefunden.” Kirkland nimmt die Kamera entgegen wie einen kostbaren Schatz und wiegt sie vorsichtig in seinen Händen: “Da ist sie ja wieder,“ sagt er. „Stanley Kubrick riet mir damals, mir so eine Kamera anzuschaffen, als ich als am Set seines Films “2001-A Space Odyssey” als Fotograf gearbeitet habe.” Kirkland, der den mehr als 50 Jahre alten Apparat seit Jahrzehnten nicht benutzt hat, beginnt ohne Zögern, damit zu fotografieren. Der Blick durch die Kamera ist auch mit 84 Jahren für Douglas Kirkland so selbstverständlich wie Atmen.

Magdalena Kröner: Ihr Einstieg in die Celebrity-Fotografie hätte prominenter kaum sein können: im Jahr 1961, mit gerade mal 27 Jahren, fotografierten Sie Marilyn Monroe…

Douglas Kirkland: Ja, das war ein ziemlicher Blitzstart… (lacht). Ich war damals Fotograf beim “Look” Magazine, und bekam, warum auch immer, den Auftrag, ein Portrait von Marilyn Monroe zu fotografieren. Es war gar nicht als besonders große Geschichte geplant, aber natürlich war ich unglaublich aufgeregt – ich meine, ich war ein Junge aus einer kanadischen Kleinstadt und sollte plötzlich den zu dieser Zeit größten Hollywood-Star treffen. Marilyn bestellte mich also in ihr Apartment in Hollywood, und zuerst schien alles ganz normal zu laufen. Doch als es allmählich Abend wurde, entschloss sie sich, meinen Assistenten und ihre Garderobiere wegzuschicken, so dass wir nur noch zu zweit waren. Ich war gerade dabei, durch den Sucher meiner Kamera zu schauen und scharf zu stellen, als sie plötzlich auf ihr Bett klopfte und sagte: “Lassen Sie uns doch hier weitermachen.” So unschuldig wie ich damals war, verstand ich überhaupt nicht, dass dies eine ziemlich direkte Einladung gewesen sein könnte. Ich war nur auf mein Foto konzentriert, und drapierte Marilyn auf ihrem Bett, wo sie wie in einer weißen Wolke zu schweben schien.

Ihre Portraits der Monroe sind stilbildend geworden…wie, würden Sie sagen, haben Sie das Image der Monroe geprägt?

Diese Frau und meine Erfahrung mit ihr war etwas ganz Besonderes für mich und ich freue mich bis heute, dass es mir gelungen ist, das ins Bild zu übersetzen, was ich von ihr wahrgenommen habe: etwas fast Ätherisches, Schwebendes. Es gibt eine Fotoserie von Bert Sterns „The Last Sitting“, die ein Jahr später  – kurz vor ihrem Tod entstanden – ist. Die Bilder sind sehr berühmt geworden: Marilyn, kaum verhüllt von einem transparenten Seidenschal, mit Champagnerglas; man sieht, dass es ihr nicht besonders gut geht. Hier wird diese großartige Schauspielerin plötzlich in ein einigermaßen unvorteilhaftes Licht gerückt, das Ihrem Ansehen schadete. Ich wollte sie in meinen Porträts so zeigen wie sie sich vielleicht selbst am liebsten sehen wollte: wunderschön und verführerisch,  aber eben auch integer und elegant. Kein Sexobjekt…sondern eine lebendige Frau, die sich vor meiner Kamera wohlfühlt.

Sie arbeiten jetzt seit mehr als sechs Dekaden als Fotograf. Wie hat sich Ihre Arbeit über die Jahrzehnte verändert?

Oh, das ist ein weites Feld. Fast alle äußeren Parameter meiner Arbeit haben sich verändert: früher fotografierte ich auf Film, heute mache ich alles digital; früher luden Schauspieler mich häufig zu sich nach Hause ein und schickten einen Rolls-Royce, der mich zum Fototermin abholte; heute muss ich, bevor ich mich an die Arbeit machen kann, langwierig mit den Agenten und Managern eines Stars über kleinste Details eines Fotoshootings verhandeln.

Heute scheint es ja auch so zu sein, dass die meisten Stars sich am liebsten selbst fotografieren, und zwar für Instagram…

Ja, das hat sich sehr stark gewandelt: früher waren Stars wesentlich entrückter – heute wirken sie viel nahbarer, auch, wenn Sie es natürlich nicht sind. Aber die Illusion von Zugänglichkeit spielt heute eine große Rolle, um einen Star zu vermarkten.

Schaut man sich Ihre jüngste, opulente Modestrecke mit Elle Fanning an, die Sie gerade für die italienische Vanity Fair fotografiert haben, erkennt man, dass sich auch Ihre Arbeit als solche stark verändert hat.

Ich kenne Elle sehr gut, und habe sie immer wieder fotografiert, seit sie sieben Jahre alt war. Es sieht aus, als wären wir mit ihr für das Shooting erst zum Nordpol, dann in einen verwunschenen Zauberwald und dann in eine tropische Oase gereist, dabei sind all diese Bilder während eines entspannten Nachmittags hier in unserem Haus entstanden. Ich mag diese fantasievolle Serie sehr, und sie zeigt: wir Fotografen werden auch weiterhin gebraucht werden, um Träume und Phantasien zu inszenieren.

Ebenso berühmt wie Ihre Bilder der Monroe sind Ihre Aufnahmen von Coco Chanel in ihrem Atelier an der Rue Cambon. Wie ist diese Serie entstanden?

Das hatte mit Jacqueline Kennedy zu tun: sie war die erste First Lady, die ihre Garderobe bevorzugt von französischen Modedesigner schneidern ließ. Das war ein Statement, das zunächst umstritten war, dann aber in den USA für ein riesiges Interesse an Mode aus Frankreich sorgte – und so kam es, dass mich Look im Sommer 1962 nach Paris schickte, um “Mademoiselle”, wie sie sich rufen ließ, für drei Wochen bei der Arbeit über die Schulter zu schauen.

Man kennt glamouröse Fotos der jungen Chanel und zahllose Beispiele von Stars in Chanels Mode,. Sie aber zeigen die Designerin in einem völlig neuen Licht: eine reife Coco bei Anproben in ihrem beengten Atelier. Damit machen Sie deutlich, wie viel Arbeit hinter einer so glamourösen Marke wie Chanel tatsächlich steckt.

Genau. Ich wollte mich der Situation aus einem journalistischen Blickwinkel nähern. Ich wollte zeigen, wie sie aussieht, wie sie arbeitet, wie sie mit ihren Mannequins scherzt, wie sie ihre Zigarette im Mundwinkel trägt – was sie fast 24 Stunden am Tag tat.

Wie war die Arbeit mit Coco?

Sagen wir mal so: sie hat es es mir nicht leicht gemacht. Ich war ein Nobody aus den USA, der kein Wort Französisch sprach, und nun jeden Tag mit der Kamera um sie herumfuchtelte. In diesem Sommer arbeitete sie wie besessen an ihrer Comeback-Kollektion. Volle vier Tage lang sprach sie kein Wort mit mir. Das hat mich unglaublich verunsichert, aber zum Glück war in ihrem Atelier mit den Schneidern in ihren weißen Kitteln und den vielen Mannequins so viel los, das ich zu sehr von meiner Arbeit absorbiert war, um mir Gedanken darüber zu machen. Doch irgendwann bekam ich den Eindruck, dass sie begann, mich zu tolerieren. Sie hat mich, auf ihre Art, ziemlich nah an sich heran gelassen.

Und wie sah es mit den Mannequins aus, die Tag ein, Tag aus um Sie herum waren?

Ob Sie es glauben oder nicht, für die hatte ich kaum Augen! Hinterher erfuhr ich, dass unter den Models eine Art Wettkampf herrschte, welche von ihnen mir am ehesten den Kopf verdrehen würde…

Was hat Sie an Hollywood gereizt?

Ich fand Hollywood und den Erfindungsreichtum von Filmen immer faszinierend. Ich bin bis heute begeistert von der Kraft, mit der ein Streifen Zelluloid ganz eigene Welten zu gestalten vermag. Aber wie bei Vielem hatte auch meine Berufswahl mit Timing zu tun, mit dem „Zur richtigen Zeit am richtigen Ort“-Sein.

Sie haben, erst von New York und dann von Los Angeles aus, zahllose Stars mit der Kamera begleitet. Haben sich daraus auch Freundschaften entwickelt?

Ja, natürlich. Aber auch hier war ich weniger an den großen Namen interessiert als an den Personen dahinter. Mit Kirk Douglas zum Beispiel, den ich über die Jahrzehnte immer wieder fotografiert habe, – und wer weiß, vielleicht hat das mit unseren gespiegelten Namen tun – Kirk Douglas und Douglas Kirkland – hat sich eine enge Freundschaft ergeben. Auch der australische Regisseur Baz Luhrmann ist ein sehr enger Freund geworden und ich freue mich immer, wenn ich bei einem seiner Filme dabei sein kann.

In unserer Gesellschaft, und insbesondere in Hollywood, ist man sehr auf Jugendlichkeit fixiert. Wie stehen Sie dazu?

Ich spreche vor allem auf Persönlichkeit und auf Individualität an. Der Moment, in dem das Individuum sichtbar wird, ist der Moment, in dem Schönheit entsteht. Wenn in dem kurzen Moment, in dem ich auf den Auslöser drücke, sichtbar wird, wer jemand ist, woher er kommt, was ihn ausmacht – das begeistert mich. Und das ist etwas, was völlig unabhängig vom Alter ist, oder davon, ob jemand ein Star ist oder nicht. Schönheit ist eine Haltung, keine Frage des Alters. Ich habe meine Frau Françoise, mit der ich seit über 50 Jahren verheiratet bin, immer wieder fotografiert, und auch jetzt wäre ich jederzeit in der Lage, sie in einem Porträt als die schöne Frau zu zeigen, die sie ist.

Was macht für Sie ein perfektes Foto aus?

Fotografie ist in gewisser Weise immer eine Idee, eine Wunschvorstellung. Es spielt keine Rolle, ob man diesen Traum nun mit Pinsel und Leinwand oder mit einer Kamera und Scheinwerfern ins Bild setzt. Es geht mir um diese Wunschvorstellung, weniger um Perfektion.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach das Schönheitsideal im Lauf der Jahzehnte verändert?

Es gibt Dinge, die wir Menschen immer als schön empfinden werden: Gesundheit, Lebensfreude, Makellosigkeit. Doch wie Schönheit inszeniert wird, ist bestimmten Moden unterworfen. Ein „Schönheitsideal“ ist vor allem eine Frage der Kultur. Unsere Gesellschaft wandelt sich, und mit ihr wandelt sich das, was wir als schön empfinden: die Mode, die Frisuren, ebenso wie die Vorstellung davon, wie schlank oder füllig ein Körper sein soll. Und damit ändert sich auch die Fotografie. Vieles von dem, was zu einer bestimmten Zeit als ideal galt, wird ja künstlich erzeugt. Denken Sie zum Beispiel an Make-up: früher war es wesentlich extremer, heute ist es zarter, man lässt heute viel mehr vom natürlichen Gesicht durchscheinen.