Die Jerry-Moss-Plaza in Downtown Los Angeles wimmelt an diesem lauen Herbstabend vor Menschen. In der LA Opera findet eine Premiere statt, es herrscht vorfreudige Aufgekratztheit auf dem weiten Platz über der Garage des Music Center. Frauen balancieren auf ihren Louboutins, Männer führen große Uhren aus und rauchen Zigarren. Der Springbrunnen ist angeschaltet, es gibt eine Bar und eine Fotostation, wo sich Familien und Paare lächelnd aufstellen und fotografieren lassen. Ich lasse mich durch die Grüppchen von Leuten hindurchtreiben. Auch wenn es so aussieht, bin ich nicht allein: eine Stimme in meinem Ohr leistet mir Gesellschaft. Die Stimme kommt aus einem Airpod, der mit einem Iphone in meiner Tasche verbunden ist. Die Stimme ist freundlich und sie klingt auf unheimliche Weise wie ich selbst. Sie muntert mich auf und motiviert mich. Sie sagt: „Schau dich um, ist dieser Ort nicht unglaublich?“ Danach ist es für eine ganze Weile still. Nach einiger Zeit höre ich: „Auch wenn du manchmal glaubst, nicht weiter zu wissen: Verwirrung führt zu Klarheit und Inspiration. Umarme sie!“
Was ich hier gerade erlebe, ist die Arbeit „Voice in My Head“, eine Audioperformance der amerikanischen Künstlerin Lauren Lee McCarthy. In einer Art Telefonzelle habe ich zuvor einer künstlichen Intelligenz ein paar Fragen beantwortet: Wie klingt die Stimme in deinem Kopf? Was sagt sie? Was würdest du dir von ihr wünschen? Chat GPT nimmt meine Antworten auf, variiert sie und spielt sie mir zurück. Eigentlich ist es ganz einfach, aber auch ziemlich unheimlich.
„Schau dich um und nimm dir Zeit, in Ruhe alles zu erkunden,“ sagt die Stimme nun. „Es gibt noch so viel zu entdecken!“
Das, was ich höre, ist wie ein Feedback meines Selbst, auf das ich unmittelbar emotional reagiere, auch wenn ich es eigentlich besser wissen müsste. Mein Verstand sagt: das, was du hier hörst, hast du vorher erzählt, es ist alles nur geschickt gesampelt. Dennoch entspanne ich mich, wenn die Stimme zu mir spricht. Ich schaue anders auf die Dinge, auf die sie mich hinweist. Ich erlebe durch den synthetischen Klang in meinem Kopf eine völlig veränderte Situation.
Lauren Lee McCarthy, die diese Performance in Zusammenarbeit mit dem Künstler Kyle McDonald geschaffen hat, erklärt dazu: „Künstliche Intelligenz dringt immer mehr in unser Leben ein. Was passiert, wenn sie direkt in unsere Gedanken eingreift? Wird es künftig noch eine Rolle spielen, ob ich mit einem Menschen oder einer Maschine spreche?“
Nun wird das Werk der 1987 in Boston geborenen, chinesisch-amerikanischen Künstlerin erstmals in größerem institutionellen Rahmen in Deutschland vorgestellt. Anläßlich des „Human AI Art Award“, den Telekom und Kunstmuseum Bonn zum ersten Mal verleihen, zeigt Lauren Lee McCarthy auf dem Bonner Museumsplatz die interaktive Performance „LAUREN: Anyone home?“, eine leicht veränderte Variante von „LAUREN“ – der Arbeit, die sie international bekannt gemacht hat.
Darüber will ich mit ihr sprechen. Wir treffen uns in ihrem Studio auf dem Campus der University of California, Los Angeles. Nach ihren Abschlüssen in Art + Design und Computerwissenschaften am MIT in Boston wechselte Lauren Lee McCarthy an die UCLA, um Kunst zu studieren. Hier unterrichtet sie nun auch selbst als Professorin für Medienkunst.
Wie funktioniert „LAUREN“? „Für die Arbeit übernahm ich die Rolle einer Sprachassistentin, ähnlich einer „Alexa.“ Ich schaltete mich bis zu einer Woche lang in die Haushalte von Freiwilligen ein, die ich im Web gefunden hatte,“ erzählt die Künstlerin. „Mithilfe vernetzter Geräte wie Kameras, Mikrofonen und Schaltern für Toaster, Kaffeemaschine, Dusche und Türschlösser kontrollierte und überwachte ich die Personen und ihr Heim rund um die Uhr. Ich wollte untersuchen, in welcher Form wir KI in unser Zuhause lassen, die uns als Komfort und Erleichterung verkauft wird, aber in Wirklichkeit Überwachung und kommerzielle Interessen in privateste Räume bringt.“
Ein Film, der auch in Bonn zu sehen ist, zeigt, wie selbstverständlich und persönlich die Interaktionen mit „LAUREN“ rasch werden: „Guten Morgen, Lauren“, sagt eine Frau, „mach das Licht an. Ich wünsch Dir einen schönen Tag!“. Ein Mann fragt sie, wo er die Autoschlüssel hingelegt hat – die Grenze zwischen Mensch und Maschine verschwimmt während der Performance immer mehr. „Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die Kritik an den technologischen und sozialen Systemen, die wir um uns herum aufbauen“, sagt Lauren Lee McCarthy dazu. “Meine Performances öffnen einen temporären Raum, um mit den Regeln zu spielen, nach denen unsere Gesellschaft funktioniert.“ (…)