TEIL1: Pandemische Intimitäten
„Die Zeit, in der es den Anderen gab, ist vorbei. Der Andere als Geheimnis, der Andere als Eros, der Andere als Begehren, der Andere als Hölle, der Andere als Schmerz verschwindet.“ Als der Philosoph Byung-Chul Han diese Sätze schrieb, gab es kein Covid-19 und keine Vorstellung davon, dass ein Virus, der zuerst im chinesischen Wuhan gefunden wurde, die Welt, wie wir sie kannten, komplett verändern würde.
Sein Essay „Die Austreibung des Anderen“ ist im Jahr 2016 entstanden: in dem Text beschreibt Han die Entkörperlichung und das Körperlose unseres digitalen Lebens. Vieles von dem, was er darin als Verlust des Anderen beschreibt, wurde im März 2020 Realität: das Draußen verschwand und wir zogen uns in unsere Höhlen zurück. Distanz wurde zum Überlebensmodus. Und genau in diesem Moment geschah etwas Erstaunliches: plötzlich schien es, als hätte der mahnende Herr Han Unrecht. Die Anderen begegneten uns jetzt zwar nur noch mit ganz viel Abstand oder gar nicht mehr, aber gleichzeitig füllten sie unsere vereinsamten Gehirne: als Phantasma, als Hölle und Paradies unserer hochtourig laufenden Vorstellungskraft.
Kaum war das Beisammensein verboten, schloß die Imagination die entstandenen Lücken, begleitet von digitaler Technologie. Und während wir Netflix oder YouPorn bingeten oder wandern gingen, dachten Künstlerinnen und Künstler sich neue Bilder zu Einsamkeit und Ekstase aus, so wie die Künstlerin Marge Monko in ihrer Arbeit „I Don’t Know You, So I Can’t Love You“. Zwei Hände wollen sich berühren, können es aber nicht. Monko nutzt für das Vergebliche zwischen zwei Menschen ein Symbol, das die Kunstgeschichte kennt, seit Michelangelo es vor 500 Jahren an die Decke der Sixtinischen Kapelle gemalt hat, und das sich gerade wieder unglaublich dringlich anfühlt. Dazu säuseln Stimmen von zwei Google-Sprachassistenten, die eine romantische Unterhaltung miteinander führen.
Der Klageruf des Verlustes, der in der Ausstellung „Modern Love“ laut wird, klingt vor allem wehmütig und ein wenig eindimensional. Denn: ist das wirklich so? Haben wir Nähe und Unmittelbarkeit verloren? Reden wir, digital verstärkt, nur noch aneinander vorbei und sind längst den Maschinen ausgeliefert, ohne es zu ahnen?
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