Die größte Blöße

Verletzlichkeit als Stärke: Ein Atelierbesuch bei der südafrikanischen Künstlerin Marlene Dumas in Amsterdam

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Das Atelier ist erstaunlich klein, und es wirkt wie eine Wohnung. Das Zentrum des größten Raums bildet ein Bett, von Skizzen und Zeitungen bedeckt. „Ich verbringe wirklich viel Zeit im Bett. Ich arbeite, telefoniere, esse und lese hier,“ erklärt Marlene Dumas. Um das Bett herum scheint alles ineinander überzugehen – Bücherstapel auf dem Boden, bereits verwelkte Blumen und eine Platte mit der weinenden Ingrid Bergman auf dem Cover. Die Vorlage für ein neues Gemälde, in dem die Filmmusik zu „Wem die Stunde schlägt“ steckt. An den Wänden, dicht an dicht, Bilder von Freunden, ein Hirst, ein Warhol, neben einer Postkarte mit Ingres’ herrlicher Dame in leuchtend blauem Taft, schließlich vergilbte Reportagefotografien und Raumpläne für Ausstellungen, die sie gerade vorbereitet. Das Atelier selbst liegt dahinter und ist fensterlos. „Eigentlich komisch für eine Malerin, oder? Aber das stört mich nicht, ich arbeite sowieso meist nachts.“

An der Wand hängen ein paar halb fertige Arbeiten. Auch hier scheint alles ineinander verwoben: Ölgemälde, auf die sie Wasser gesprenkelt hat, Tuschezeichnungen, die mit Kohle bearbeitet wurden, Aquarellfarben, die so stark verdünnt wurden, dass sie sich haltlos über das Papier zu ergießen scheinen. „Um etwas zu sehen von einem Bild, muss man nah herangehen. Wenn sich ein Bild nicht verändert, wenn man nah herangeht, ist es keine gute Malerei“, sagt Dumas und deutet auf ein kleines, noch feuchtes Gemälde: das Porträt der toten Marilyn Monroe. Vor allem die fleckige, porös wirkende Haut berührt. „Das ist mein Los-Angeles-Bild“, bekennt sie und fügt sogleich hinzu: „Aber vielleicht auch das Porträt meiner Mutter.“

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Die Beziehungen zwischen Menschen interessieren Marlene Dumas ebenso wie die Beziehungen zwischen Bild und Betrachter. Was macht Nähe aus? Warum scheitert sie? Welche Bilder haben wir im Kopf, wenn wir uns nach etwas sehnen? Marlene Dumas malt Bilder, bei denen das, was sie zeigen, nicht verstellt wird von großen, abgenutzten Begriffen. Sie titelt sparsam. Erregung: „Pink Erection“, Selbstbefriedigung: „Fingers“. Sie malt Porträts versehrter Menschen, denen ihre Vergänglichkeit eingeschrieben ist.

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Bei Marlene Dumas gibt es keine Guten. Ihre Stripperinnen wirken eher grotesk als erotisch. Babys sehen aus wie schrumpelige Aliens. Die eigene Tochter malte sie wie eine Fremde mit verschränkten Armen und abweisenden Augen. Wie viele Künstlerinnen befasst sich Dumas mit generischen Körpermodellen, Archetypen. Sie malte Serien mit wenig attraktiven Models und melancholischen Pornostars ohne Namen. Sie setzte sich mit mythischen Urfiguren wie der Venus von Willendorf auseinander, von der sie kokettierend behauptet, sie sehe ihr selbst ein wenig ähnlich. Sie malte die heilige Magdalena, die sie unter dem Titel „Megamodel Meets Holy Whore“ mit deutlicher Nähe zu Botticelli inszenierte. Dabei interessiert sich Dumas vor allem für die Brüche, die Fragwürdigkeiten und die Verletzlichkeit ihrer Figuren, egal welcher Hautfarbe, welchen Alters und welchen Geschlechts. Das erscheint manchem als schiere Provokation.

Einer ihrer Lieblingsschauplätze, um Intimität zu entdecken, ist die Pornografie. Das mag zunächst abwegig klingen, liegt aber für Marlene Dumas überraschend nahe: „Was ein Porno liefert, ist nicht die Darstellung eines Aktes. Er zeigt zwei oder mehr Leute, die mit einem Betrachter agieren. Ich stelle mir vor, den Betrachter wie einen Liebhaber in meine Bilder mit einzubeziehen.“

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