Der Lockruf des Geldes
Noch fühlt es sich ein bißchen so an wie El Niño, der seit Wochen mit Regen und Sturm durch die Straßen von Los Angeles fegt. Lange hat man auf ihn gewartet in der quälenden Dürre Kaliforniens, und nun, wo er endlich da ist, scheinen alle irgendwie überrascht und fast ein bißchen ungläubig. Genau das könnte auch für die boomende Kunstszene der Stadt gelten: viele Jahre erschien es wie ein Gerücht, und manche hielten es schlicht für ausgeschlossen, dass überhaupt etwas parallel zum Kunstzentrum New York entstehen und Gültigkeit haben könnte. Doch nun ist es nicht mehr zu übersehen: die Kunst kommt nach Los Angeles. Überall in der Stadt wird neu gebaut oder neu eröffnet; werden vormals berüchtigte Viertel wie Downtown oder Hollywood von der Kunst besetzt; ziehen Künstler aus Europa oder New York hierher.
Spätestens seit Herbst letzten Jahres zeigt sich zudem, dass das Engagement für aktuelle Kunst auch auf institutioneller Ebene greift. Milliardär und Sammler Eli Broad hat sich von den New Yorker Star-Architekten Diller, Scofidio and Renfro für 140 Millionen Dollar ein eigenes Museum in Downtown bauen lassen. Direkt neben Frank Gehrys metallisch glänzender Walt Disney Concert Hall und gegenüber vom Museum of Contemporary Art steht das von den Angelenos wegen seiner durchbrochenen Fassade despektierlich „Käsereibe“ genannte Prachtmuseum. Unweit davon verfolgt das LACMA, das Los Angeles County Museum, ehrgeizige Expansionspläne: Renzo Piano gestaltet ab März das historische Kaufhaus May auf dem LACMA-Campus zum neuen „Academy Museum of Motion Pictures“ um; außerdem soll die flächige Architektur des 1965 eröffneten Museums durch einen Neubau von Peter Zumthor ersetzt werden, der sich auf 37.000 Quadratmetern erstreckt – als Baubeginn wird momentan 2018 angegeben. Gegenüber vom LACMA wurde in den letzten Monaten ebenfalls umgebaut: im 1300 Quadratmeter großen, zweistöckigen Annex eines Bürokomplexes, der in den späten 60er Jahren von William L. Pereira + Associates entworfen wurde, eröffneten Monika Sprüth und Philomene Magers Ende Februar ihre neue Dependance. Geleitet wird die Galerie vor Ort von der Schweizerin Anna Helwing und der Amerikanerin Sarah Watson. „Es ist uns wichtig, vor Ort für alteingesessene Künstler wie John Baldessari präsent zu sein, mit dem wir seit drei Jahrzehnten zusammenarbeiten, und der auch unsere Eröffnungsausstellung bestreitet,“ sagt Helwing. „Aber auch der demographische Wandel in der Stadt ist spannend für uns: wir bemerken zum Beispiel seit zwei drei Jahren, dass immer mehr IT-Leute aus Nordkalifornien hierher ziehen. Das geht soweit, dass die Einheimischen Venice Beach schon zu „Silicon Beach“ umgetauft haben.“
Auch im einst heruntergekommenen Hollywood tut sich etwas. Saun Caley Regen betreibt mit „Regen Projects“ am Santa Monica Boulevard seit 2012 ihre 2000 Quadratmeter große Galerie. Um sie herum hat sich eine ganze Gruppe von Galerien versammelt von Matthew Marks über Hannah Hoffman bis zu Various Small Fires. Auch Michael Kohn ist vor zwei Jahren vom Beverly Boulevard nach Hollywood gezogen und hat seine Ausstellungsfläche auf 1400 Quadratmeter verdoppelt. „Was sich in den letzten Jahren verändert hat, sind die neuen Möglichkeiten für den Kunsthandel auf Messen und im Internet. Das hat geholfen, auch Galerien bekannt zu machen, die in Downtown oder irgendeinem anderen abgelegenen Fleck der Stadt existierten,“ erklärt Kohn. „Wir brauchen keine teure Präsenz in Beverly Hills mehr, um Umsatz zu machen. Außerdem haben wir, im Gegensatz zu New York, noch Platz in der Stadt. Hier kann man sich ein Studio oder eine Galerie bauen, die größer und günstiger sind als in New York.“ Der in Los Angeles geborene Galerist spricht einen zentralen Punkt an: während die Gentrifizierung selbst ehemalige New Yorker Künstlerviertel wie Williamsburg unerschwinglich gemacht hat, mehren sich in Los Angeles Ateliers in Gegenden wie Silver Lake oder Echo Park. Aus New York sind Alex Hubbard und Jacob Kassay hergezogen. Die deutschen Künstler Silke-Otto Knapp und Friedrich Kunath leben und arbeiten schon eine ganze Weile hier; Oscar Tuazon kam kürzlich erst aus Paris. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Besonders viel Bewegung kommt ins ehemals berüchtigte Downtown. An der von anonymen Lagerhäusern gesäumten, meist menschenleeren Mission Road befindet sich seit letztem Herbst die Westküsten-Filiale der New Yorker Galeristin Michele Maccarone. Ihre Galerie liegt in Laufweite von „Mission 356“, einem vom New Yorker Galeristen Gavin Brown und der Malerin Laura Owens in deren früherem Atelier 2013 gegründeten Komplex aus Galerie, Projektraum und Buchladen; wohl das lebendigste und informellste Kunstzentrum der Stadt. Doch zu den ersten jungen Galerien in Downtown zählte Mara McCarthys “The Box”. Die Tochter des Künstlers Paul McCarthy eröffnete 2007 in Chinatown. Warum gerade hier? „Für mich war Downtown schon immer ein Ort für die Künstler. Ich wuchs mit der Punk- und Experimentalszene der 80er Jahre auf, die hier existierte,“ erzählt McCarthy. „Die Gentrifizierung setzt mittlerweile auch hier schon ein, und das macht mir Sorgen, aber es gibt nach wie vor viele Ateliers und Off-Räume. Hier sind Leute unterwegs und ständig passiert etwas Neues.“
„The Box“ zählt zu den zentralen Treffpunkten nicht nur der jungen Szene der Stadt: McCarthy zeigt regelmäßig ehemalige Studenten ihres Vaters aus seiner Zeit an der University of California (UCLA), kuratiert aber ebenso Rückblicke auf vergessene oder übersehene Kunst, die eng mit der Stadtgeschiche verbunden ist, wie etwa in ihrer Schau zum Untergrundkollektiv „Los Angeles Free Music Society“.
Globe Grain and Milling Company. Courtesy Los Angeles Public Library Photo Collection
Doch demnächst wird es vornehm in Downtown. Mit Hauser Wirth & Schimmel eröffnet Mitte März an der East 3d Street, unweit vom Los Angeles River, die größte Galerie der Stadt. Auf 10.000 Quadratmetern verteilen sich Galerie, Restaurant und Buchladen in sieben Gebäuden auf dem historischen Gelände der „Globe Mills“, wo um die Jahrhundertwende Getreide verarbeitet wurde. Die Umgestaltung betreute die deutsche Architektin Annabelle Selldorf. Der als neuer Partner gewonnene, ehemalige Chef des MOCA, Paul Schimmel, sieht die Galerie „als eine Art Kunsthalle“. Gemeinsam mit der auf feministische Kunst spezialisierten Kunsthistorikerin Jenni Sorkin kuratiert er die unbescheiden „Revolution in the Making – Abstract Sculpture by Women, 1947-2016“ genannte, programmatische Eröffnungsausstellung mit fast 100 Werken, von Pionierinnen des Genres wie Louise Bourgeois, Lee Bontecou oder Eva Hesse bis hin zu kalifornischen Künstlerinnen wie Ruth Asawa der Claire Falkenstein, die gerade wiederentdeckt werden. Die Ausstellungsdauer von einem halben Jahr und die hohe Zahl inernationaler Leihgaben in der Schau unterstreicht den musealen Anspruch des nun sechsten Galerieablegers. Hauser Wirth & Schimmel macht den örtlichen Museen Konkurrenz und appelliert zugleich an jene schwerreichen Sammler aus dem Film- und Immobiliengeschäft, in deren Villen in Brentwood oder Bel Air noch Platz genug ist für Kunst mit großem Namen und ebensogroßem Preisschild.